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Sardellen in der Badewanne

Aktualisiert: 19. Apr. 2022

Ich wache auf, total irritiert. Schaue auf mein Handy, das neben meinem Bett liegt. 6:20 Uhr.





Handy ist nicht im Flugmodus. Ich möchte erreichbar sein. Für Notfälle. Ja, ich weiss, die Strahlen werden mich töten. Ich bin wahrscheinlich von oben bis unten schon total verstrahlt.


Ist es schlimmer, mit einem Handy neben dem Bett zu schlafen oder neben einem Bahnhof zu wohnen?

Was ist, wenn ich neben einem Bahnhof wohne und das Handy neben meinem Bett liegen habe? Kumulieren sich die Strahlen? Sind das überhaupt die gleichen Strahlen? Ist das Elektrosmog?


Was ist das Problem?

Fragen über Fragen. Ich gebe meine Fragen in eine uns allen bekannte Suchmaschine ein. Meine Suchanfrage lautet: Handy neben Bett tödlich? Ich finde verschiedene Meinungen, wie immer. Ein Auszug: Ein Schlafprofessor findet es übertrieben, das Handy zu verteufeln, sein eigenes Handy habe er auch neben sich am Bett. Wieso sein eigenes? Denke ich. Wessen Handy sollte man sonst neben sich liegen haben? Ich bleibe an diesem Wort hängen. Jedenfalls meint der Schlafprofessor, dass das Handy nicht per se eine Schlafstörung produziert. Dass die Strahlung des Handys sich negativ auf den Schlaf auswirkt, konnten Studien ebenfalls nicht beweisen.


Und die Dosis macht das Gift. Ja, wie alles im Leben, denke ich. Ein Glas Wein pro Tag ist okay, eine Flasche Wein pro Tag ist nicht okay. Weiter mit dem Schlafprofessor. Sein Fazit: Zwei Stunden vor dem Schlafen sollte man nicht mehr ins Handy schauen, das Schlafzimmer sei für Schlaf und Sex da. Okay, Herr Professor, alles klar. Ich stosse auf einen sehr gut recherchierten Bericht. Es sei nicht wissenschaftlich erwiesen, dass Handystrahlung die Gesundheit schädigt. Nur schon der Gedanke, dass von Handys Gefahren ausgehen, kann krank machen. Der sogenannte Nocebo-Effekt. Und dann gibt es die andere Seite. Menschen, die behaupten, Strahlen machen krank.


Zum Beispiel Elektrosensible. Eine Elektrosensible behauptet, sie spürt, wenn neben ihr jemand ein SMS schreibt oder im Internet surft. Die Strahlung sei dann unterschiedlich intensiv. Wow, ich weiss nicht. Ich bin überfordert. Wahrscheinlich muss man das von Fall zu Fall anschauen. Wie alles. Jedes Extrem ist schlecht. Es gibt so viele Meinungen über dieses Strahlen-Thema, dass es mich richtig müde macht und ich wegdöse. In der Regel schlafe ich acht Stunden durch. Nur heute morgen bin ich nach einem sehr seltsamen Traum aufgewacht. Und der ging so: Ich komme zu meiner eigenen Wohnungsbesichtigung, denn ich ziehe aus meiner Wohnung. Ich bin zu spät dran. Ich drücke auf den Liftknopf. Warte ewig.


Endlich ist er da. Ich steige in den winzigen Lift mit Holzverkleidung. Hier haben maximal zwei Menschen Platz. Wir sind zu Fünft. Ich schaue das Schild mit der maximalen Nutzlast-Anzeige an. Sie ist überschritten. Wir fahren hoch, was ewig dauert. Das liegt bestimmt am Übergewicht. Wie hiess nochmal der Horrorfilm, in dem der Lift ungebremst in die Tiefe saust? Jetzt nicht panisch werden. Oben angekommen, sehe ich etwa 20 Leute vor meiner Tür warten. Doch zuerst laufe ich über eine Art Terrasse, die innerhalb eines Wintergartens liegt. Die Leute schauen sich um, sind begeistert. Und ich sage: Das ist nicht meine Wohnung. Die Meute reagiert enttäuscht. Ich auch. Wir kommen bei meiner Wohnung an. Ich weiss, dass ich sie schon länger nicht mehr betreten habe und frage mich, wie ich sie wohl hinterlassen habe. Meine Güte, das sitzt so tief, dass ich sogar im Traum Angst davor habe, wie meine Wohnung aussehen könnte. Seit meine Mutter gesagt hat, sie räume ihre Wohnung vor dem Verlassen immer auf, falls sie draussen stirbt und jemand in ihre Wohnung rein muss. Ich muss dazu sagen, dass die Wohnung meiner Mutter immer aufgeräumt ist, egal, ob sie drinnen oder draussen ist. Also, so sehe ich das. Ich bin ja ziemlich ordentlich, aber letzthin hatte ich mal so einen ultra krassen Stress-Tag und da hab ich’s nicht geschafft, die Wohnung vor dem Rausgehen aufzuräumen.


Ich werde von einem Auto überfahren. Der Sanitäter, der versucht, mich wiederzubeleben, hält sein Ohr an meinen Mund, denn offensichtlich möchte ich noch was sagen, bevor ich sterbe. Meine letzten Worte sind: «Meine Wohnung…sie…ist…sie ist…nicht…sie…ist…nicht…aufgeräumt…tschuldigung».

Ein unerträglicher Gedanke, dass nach meinem Tod jemand meine Wohnung betritt, sich umsieht und sagt: «Na, na, na, da hat wohl jemand schon länger nicht mehr Staub gewischt.» Dieses was andere über einen denken sitzt tief. Daran sind die Balkan-Gene schuld. Jedenfalls bekomme ich im Traum plötzlich Angst, die Tür meiner Wohnung zu öffnen, weil ich nicht weiss, wie ich sie zurückgelassen habe. Und tatsächlich, ein Alptraum offenbart sich mir, als ich die Wohnung betrete. Ich versuche, den Vorsprung, den ich vor den nichts ahnenden Menschen habe, auszunutzen und räume alles schnell weg. Auf dem Wohnzimmertisch sind überall Brotkrumen verteilt, leere Weinflaschen stehen auf einem Regal. Ein Glas Wein ist okay, eine Flasche ist nicht okay. Ich packe sie in eine Wohnwand und denke im Traum: Wieso habe ich so eine komische riesige Wohnwand, wie aus meiner Kindheit in den 70ern? Dann betrete ich den Ort des absoluten Schreckens: Das Bad. Der Toilettendeckel ist geöffnet und bis oben mit Toilettenpapier gefüllt. Meine Mutter kommentiert meinen WC-Gang immer damit, dass ich unglaublich viel Toilettenpapier benutze. Und wenn ich sie mal zwischendurch frage, ob ich ihr Toilettenpapier kaufen soll oder ob sie noch hat, kommentiert sie das immer mit einem: «Ich gehe nicht so verschwenderisch mit Toilettenpapier um wie du, daher habe ich noch genug. Und das sagt sie jedes Mal. Und ich sage dann: «Was heisst hier, viel? Wie viel ist überhaupt viel?» Ich gebe in die Suchmaschine ein:


«Wie viel Toilettenpapier ist normal?»

Aha, pro Toilettengang verbraucht ein Durchschnittsmensch 8,6 Blatt. Interessant. Zurück zum Ort des Schreckens in meinem Traum. Ich betrete also das Bad und starre in den geöffneten Toilettendeckel und ich denke: «Oh mein Gott, Jesus und Maria, Josef, das kann ich nicht runterspülen, das verstopft das ganze Haus, nein, das ganze Quartier. Zu meinem Schrecken betritt die Vermieterin in diesem Moment mein Bad und sagt: «Diese schwarzen Fugen da unten, das sieht gar nicht gut aus.» Jetzt erst sehe ich, was sie meint. Die Fugen sind schwarz. Sieht nach Schimmel aus. Und dann die i-Tüpfelchen auf dem iiiiiiiiihgitt. Fasziniert und gleichzeitig geschockt starre ich in die Badewanne: In meiner bis oben mit Wasser gefüllten Badewanne schwimmen etwa 500 kleine Sardellen. Der Schrei hallt durch das ganze Quartier. Bevor ich im Traum in Ohnmacht falle, wache ich schweissgebadet bis aufs Unterhemd auf. Ich trage immer Unterhemden. Auch im Sommer bei 35 Grad. Danke, danke, danke, es war alles nur ein böser Traum. Ich schaue auf mein Handy, das neben meinem Bett liegt. 6:20 Uhr. Fünf Minuten später falle ich in einen tiefen friedlichen Schlaf und wache drei Stunden später auf.


Ich habe Durst, als hätte ich etwas Salziges gegessen. Und das habe ich auch, gestern Abend. Eine Dose Sardellenfilets mit Brot. Aus nachhaltigem Fang. Selbstverständlich. Darauf achte ich. Mir kommt kein unnachhaltiger Fang ins Haus. Aber ist es überhaupt vertretbar, Fisch zu essen? Ist nicht der ganze Fisch verseucht und voll mit Schwermetallen? Was darf man überhaupt noch essen? Hallo Suchmaschine. Alle diese Gedanken schiessen mir durch den Kopf, während ich mit schlechtem Gewissen, aber grosser Lust, die klitzekleine, ölige Dose öffne. Jetzt nur nicht ausrutschen und die Sardellen verlieren. Ich schaue erstaunt hinein. Darin liegen sechs kleine Sardellen. Wahnsinn, denke ich, das ist ja ultrawenig. Ich habe ein Vermögen dafür ausgegeben. Na, hoffentlich lohnt sich das. Und es hat sich gelohnt: es war mein kulinarisches Highlight der Woche. Und ich hätte mir so sehr gewünscht, dass ich noch viel mehr. Noch viel, viel mehr Sardellen gekauft hätte.



 
 
 

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